Handysucht: Nützlicher Helfer oder gefährliche Ablenkung?

Das Smartphone begleitet uns rund um die Uhr. Ob zum Telefonieren, Social Networking oder als praktischer Alltagshelfer – kaum jemand ist heute noch offline. Dass eine exzessive Nutzung die Gefahr birgt, in eine Abhängigkeit zu rutschen, liegt auf der Hand. Doch gibt es die Handysucht als eigenständiges Krankheitsbild überhaupt? Was passiert bei einer Online-Sucht im Gehirn und welche Konsequenzen hat das für Körper und Psyche? Im Fokus stehen die Fragen, wie man eigentlich merkt, dass man abhängig ist und was man bei einer Smartphone-Sucht machen kann. Abschließend dürfen praktische Tipps, um vorzubeugen, nicht fehlen.

Was ist eine Handysucht?

Eine Online- oder Handysucht existiert als eigenständiges Krankheitsbild bislang nicht. Als Diagnosen nach ICD-11 kennt man die Computerspiel- und Pornosucht, da hier ausreichend Daten vorliegen. Doch auch wenn es an offiziellen Diagnosen noch fehlen mag, ist das Phänomen exzessiver Internet- beziehungsweise Smartphonenutzung im Sinne einer Verhaltenssucht ein brisantes Thema, das Sorgen schürt und wissenschaftlich mehr und mehr in den Fokus rückt.

Wenngleich man sich auf Kenntnisse der Computerspielsucht stützen kann, ist die Bandbreite von Onlinesüchten mittlerweile weit größer und wächst – wie neue Technologien auch – stetig. Angesagte Soziale Netzwerke und Messanger-Dienste, Gaming-Seiten, Online-Shops oder Streaming-Plattformen – die Möglichkeiten, sich in den Weiten des Internets zu verlieren, sind schier unendlich. Das sorgt dafür, dass sich immer mehr Menschen kaum vom Smartphone lösen können. Die problematische Handynutzung ist also längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Besonders anfällig für Mediensüchte dieser Art? Jene Generation, die ein analoges Leben nur noch vom Hörensagen kennt!

Wie neu die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Abhängigkeiten ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass es bisher keinen einheitlichen Begriff gibt. So finden sich Bezeichnungen wie Handy- oder Internetsucht, Online- oder Mediensucht, pathologische Internetnutzung sowie internetbasiertes Suchtverhalten. Mehr und mehr scheint sich in jüngerer Zeit aber der Terminus Internetnutzungsstörung (INS) durchzusetzen. Dieser zeigt auf, dass bei solchen Verhaltenssüchten nicht das Internet selbst das Problem ist, sondern die Art und Weise, wie man es nutzt.

Was passiert bei der Smartphone-Sucht?

Wie bei anderen Süchten ist auch bei der Handysucht der Grat zwischen einer exzessiven Nutzung und einer Abhängigkeit schmal. Wesentliches Kennzeichen ist sicherlich, dass uns die Kontrolle über die Nutzung abhanden kommt. Das passiert in der Regel nicht von heute auf morgen, sondern schleichend. Warnzeichen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern, ist daher wichtig. So lässt sich einer Smartphone-Sucht vorbeugen.

Die Online-Sucht wirkt als Verhaltenssucht übrigens auf den Hirnstoffwechsel. Konkret wird das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert und Dopamin ausgeschüttet. Das damit verbundene Gefühl mag unser Organismus sehr, weshalb wir immer öfter zum Smartphone greifen – ein wahrer Teufelskreis.

Wie viel Zeit am Handy ist normal?

Tatsächlich ist Zeit nicht unbedingt der entscheidende Faktor einer Online-Sucht. Mag die zeitliche Komponente auch Einfluss nehmen, geht es in erster Linie um das Verhalten – also unseren Umgang mit neuen Medien. Oder anders formuliert: Verbringt man drei Stunden online, um mittels Internetrecherche einen Vortrag zu gestalten und spricht sich dabei über einen Messanger-Dienst parallel mit Kollegen ab, scheint das Suchtpotential gering. Dieselben drei Stunden haben einen ganz anderen Beigeschmack, wenn man sie in Sozialen Netzwerken oder beim Online-Gaming verbringt, während das vormals wichtige Fußballtraining keinen Gedanken mehr wert ist. Mehr als die Nutzungsdauer stehen demnach Kontrollverlust und Auswirkungen auf den Alltag im Fokus.

Handysucht: Wer ist besonders gefährdet?

Freilich ist niemand, der das Smartphone regelmäßig nutzt, vor dessen Suchtpotential gefeit. Manche Personengruppen sind allerdings besonders gefährdet, die Kontrolle über Social Media-Aktivitäten oder Online-Games zu verlieren. Neben Jugendlichen sind das vorrangig Menschen, die mit Ängsten und Depressionen zu kämpfen haben und ein starkes Rückzugsverhalten an den Tag legen. Außerdem gelten auch ein geringer Selbstwert, emotionale Probleme, negative Bindungserfahrungen sowie ein geringer Bildungsgrad als Risikofaktoren für eine Online-Sucht. Nicht zuletzt steigt das Suchtpotential, wenn die Vermittlung einer gewissen Medienkompetenz ausbleibt.

Zahlen zur Online-Sucht sind mit Vorsicht zu genießen. Einerseits ist das wissenschaftliche Feld noch ein relativ Neues, andererseits sind Technologien einem rasanten Wandel unterworfen. Aktuell schätzt man die Zahl Betroffener gesamtgesellschaftlich auf etwa ein bis zwei Prozent, wobei man von einer relativ hohen Dunkelziffer ausgehen muss. Vor allem Frauen greifen seltener auf professionelle Hilfe zurück und bleiben daher im Verborgenen. Während bei erwachsenen Smartphone-Nutzern Frauen und Männer etwa gleich häufig betroffen sein dürften, zeigt sich bei weiblichen Jugendlichen ein etwas höheres Suchtpotential. Auch der inhaltliche Fokus unterscheidet sich. Während Männer eher in Online-Spiele hineinkippen, birgt bei Frauen Social Media das weit größere Risiko.

Wie merkt man, dass man süchtig nach dem Smartphone ist?

Was sind nun aber die Anzeichen für eine Online-Sucht? Welche Signale sollten uns aufhorchen lassen? Im engeren Sinne geht es hier immer um Kontrollverlust, Konsequenzen für das tägliche Leben und nicht zuletzt um ein gewisses Maß an Leidensdruck. Eine Übersicht von Faktoren, die Hinweise darauf liefern können, dass die Handynutzung aus dem Ruder gelaufen ist, folgend.

Woran erkennt man eine Online-Sucht?

  • Es gelingt nicht mehr, offline zu sein beziehungsweise die Nutzungsdauer zu reduzieren – selbst nachts (Kontrollverlust).
  • Der gedankliche Fokus verschiebt sich in die Online-Welt. Es zeigen sich starke Rückzugtendenzen und das Interesse an zwischenmenschlichen Kontakten und Freizeitaktivitäten sinkt.
  • Während der Smartphonenutzung geht das Zeitgefühl verloren.
  • Der exzessive Umgang mit Handy und Co. wird verheimlicht oder beschönigt.
  • Es kommt zur Vernachlässigung von Alltagspflichten, Hobbys, Freunden und Familie, Gesundheit, Ernährung sowie Körperpflege.
  • Schlafmangel und Übermüdung stellen sich ein.
  • Es kommt zu Konzentrationsstörungen und abfallenden Leistungen in der Schule oder im Job.
  • Negative Konsequenzen aufgrund der Handynutzung nimmt man billigend in Kauf.
  • Das Smartphone wird auch in unangemessenen Situationen genutzt (während einer Besprechung, beim Arzttermin,…).
  • Aggression, Nervosität und/oder depressive Verstimmung stellen sich ein, wenn das Smartphone/Internet nicht genutzt werden kann.

Handysucht hat Auswirkungen

Eine Internetnutzungsstörung hat negative Auswirkungen auf unterschiedliche Lebensbereiche und kann langfristig körperliche und psychische Symptome auslösen. Das Suchtverhalten birgt aber nicht nur Folgen für den Betroffenen selbst, auch das Umfeld leidet.

So kommt es mitunter zum Rückzug bis hin zur völligen Isolation. Betroffene leiden verstärkt unter Ängsten und Depressionen, was wiederum online kompensiert wird. Die wachsende Gleichgültigkeit dem echten Leben gegenüber sorgt nicht nur dafür, dass zwischenmenschliche Beziehungen vernachlässigt werden, sondern auch Alltagspflichten. Im schlimmsten Fall hat das Konsequenzen, etwa für die Schullaufbahn, den Ausbildungsweg oder das Berufs- und Familienleben. Mit dem Mangel an Schlaf gehen häufig Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme und Leistungsabfall einher. Auch die Ernährung und die Körperpflege werden mitunter vernachlässigt, was gesundheitliche Probleme verstärken kann. Ebenfalls problematisch ist der Bewegungsmangel, der mit einer Smartphone-Sucht zwangsläufig verbunden ist. Hier drohen Rücken- und Nackenschmerzen sowie Übergewicht. Nicht zuletzt ist die Augengesundheit durch das fortwährende Starren auf den Bildschirm gefährdet.

Was tun bei Smartphone-Sucht

Ist die Smartphonenutzung aus dem Ruder gelaufen, stellt sich früher oder später ein Leidensdruck ein – und damit automatisch die Frage, wie man vom Handy loskommt. Wieder zu einem sinnvollen Umgang mit digitalen Medien zu finden, bei dem eine gute Balance zwischen Online- und Offline-Zeit gegeben ist, mag zwar eine Herausforderung sein, ist aber leichter, als man denkt. Je nach Ausprägung der Abhängigkeit kann man selbst gezielte präventive Maßnahmen setzen oder auf professionelle Hilfe zurückgreifen, um die Handysucht zu bekämpfen.

Professionelle Hilfe bei Handysucht

Wann die Online-Sucht einer Therapie bedarf, zeigt sich meist recht deutlich. Sind negative Auswirkungen augenscheinlich, der Leidensdruck groß und findet man selbst nicht mehr zu einem angemessenen Umgang mit Smartphone und Co., ist der Zeitpunkt gekommen, sich Hilfe zu suchen. Professionelle Unterstützungsangebote sind flächendeckend vorhanden. Nicht nur die Ausprägung des Suchtverhaltens entscheidet über die letztendlichen Maßnahmen, auch individuelle Bedürfnisse sind zu berücksichtigen. So gibt es niedrigschwellige Angebote zur Selbsthilfe für Betroffene und Angehörige sowie unterschiedliche Therapieformen.

Alle Maßnahmen zielen darauf ab, die Online-Zeit zu reduzieren und wieder in sinnvolle Bahnen zu lenken. Dazu ist es zwangsläufig notwendig, den Fokus auf jene Offline-Aktivitäten zu richten, die als angenehm und bereichernd empfunden werden. Den Weg aus depressiven Verstimmungen zu ebnen, Ängste abzubauen und den Selbstwert zu stärken ist ebenfalls Ziel solcher Interventionen.

Niedrigschwellige Selbsthilfe: Hierbei stehen leicht zugängliche Informationen und Beratungsangebote für Betroffene und deren Angehörige im Fokus. Dies erstreckt sich von Infobroschüren und Workshops über individuelle Beratungen bis hin zu Selbsthilfegruppen.

Kurzintervention: Dieses Unterstützungsangebot ist sinnvoll, wenn das Suchtverhalten noch nicht allzu stark ausgeprägt ist. In wenigen Therapiegesprächen geht es um eine Auseinandersetzung mit der problematischen Internetnutzung und um die Motivation, etwas daran zu ändern. Erforderliche Schritte dazu kann der Betroffene eigenständig setzen.

Psychotherapie: Bei stärker ausgeprägten Online-Süchten kann eine langfristige Psychotherapie notwendig sein. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Sucht gemeinsam mit psychischen Erkrankungen wie einer Depression oder Angststörung auftritt. Es geht hierbei um die Auseinandersetzung mit den Suchtmechanismen und eine langfristige Verhaltensänderung. Bevorzugter Ansatz ist die kognitive Verhaltenstherapie. Ob die Therapie ambulant oder stationär erfolgt, entscheidet sich im Einzelfall.

Handysucht vorbeugen: 8 Tipps für den Alltag

Handynutzung schwarz auf weiß: Sich einen möglichst objektiven Überblick darüber zu verschaffen, wie es mit der Smartphone-Nutzung tatsächlich aussieht, ist ein erster Schritt, um langfristig etwas zu verändern. Hierzu werden Online-Zeiten über einen gewissen Zeitraum protokolliert. Wer möchte, kann zusätzlich verschriftlichen, womit man seine Zeit stattdessen gerne offline verbringen würde.

Einfach einmal offline sein: Online-Zeiten zu reduzieren braucht Zeit und Geduld. Sich bewusst Offline-Räume zu schaffen, gelingt am besten schrittweise. So wird das Handy für einen bestimmten Zeitraum verbannt, den man nach und nach ausdehnt. Auf kürzere Spaziergänge ohne Smartphone folgen irgendwann längere Ausflüge. Schaltet man das Handy in manchen Situationen aus, wird dies bald zur Routine. Das kann etwa während Mahlzeiten oder bei Treffen mit Freunden sein. Zudem kommt man viel leichter zur Ruhe, wenn man nachts offline ist.

Routinen umwerfen: Man kann Alltagsroutinen ganz leicht umstellen, sodass man in diesen ohne Smartphone auskommt. Armbanduhr und Wecker lassen sich in analoger Form verwenden und man kann sich einen Kalender aus Papier anschaffen. Zudem muss es nicht zwingend die Handykamera sein, auch eine Digitalkamera macht tolle Fotos. Nicht zuletzt reicht ein gewöhnlicher Mp3-Player zum Musik hören aus.

Ohne Bild und Ton: Push-up-Nachrichten und diverse Töne lenken uns ab und lassen unsere Aufmerksamkeit schwinden. Solche optischen und akustische Reize zu reduzieren, ist ein wichtiger Schritt weg von der Handysucht.

Warten will gelernt sein: Auf Nachrichten oder Mails müssen wir keineswegs sofort reagieren. Hier hat es sich etwa bewährt, zu festen Zeiten gesammelt zu antworten.

Aus den Augen, aus dem Sinn: Das Handy nicht in unmittelbarer Reichweite zu haben, kann die Nutzung deutlich reduzieren. Dazu verstaut man es am besten tief in der Tasche oder bewahrt es in einem anderen Raum auf.

Halten Sie Ihre Hände beschäftigt: Die Hände beschäftigt zu halten, kann den Griff zum Handy verhindern. Ein simpler Anti-Stress-Ball ist hier Gold wert.

Ein gutes Vorbild sein: Für Mamas und Papas gilt: Regeln für die Smartphone-Nutzung festlegen und selbst mit gutem Beispiel vorangehen!