Haare laden dazu ein, sie anzufassen. So kommt es vor, dass man gedankenverloren mit einer Haarsträhne spielt, während man liest, plaudert oder fernsieht. Manche Menschen reißen sich ihre Haare jedoch wiederholt aus – und das mitunter büschelweise. Trichotillomanie – das zwanghafte Ausreißen der Haare – zählt zu den psychischen Erkrankungen. Sie kommt häufiger vor, als man bisher angenommen hat. Aufgrund sichtbarer Folgen des Haarereißens in Form kahler Stellen, empfinden Betroffene nicht selten große Scham und wissen die Erkrankung geschickt zu verbergen. Ein Teufelskreis nimmt seinen Lauf! Dabei ist diese Impulskontrollstörung grundsätzlich gut behandelbar.
Im Folgenden möchten wir uns ausführlich mit der Thematik beschäftigen. Was versteht man unter Trichotillomanie? Wie äußert sich die Erkrankung und welche Faktoren können als ursächlich angenommen werden? Augenmerk wird zudem auf therapeutische Möglichkeiten sowie die Prognose bei Trichotillomanie gelegt.
Was ist Trichotillomanie?
Bei Trichotillomanie – dem Zwang, sich Haare auszureißen – handelt es sich um eine psychische Erkrankung. Sie wird den Zwangsspektrumsstörungen zugerechnet und zählt zu den Störungen der Impulskontrolle. Oftmals tritt Trichotillomanie in Kombination mit anderen psychischen Störungen auf. Diese können bereits im Vorfeld bestehen oder auch erst als Folge der Trichotillomanie auftreten. Neben dem Zwang des Haareausreißens bestehen häufig depressive Erkrankungen, Angststörungen oder andere Verhaltensstörungen.
Charakteristisch für Trichotillomanie sind immense innere Spannungen, die deutlichen Leidensdruck verursachen. Das Ausreißen der Haare sorgt nur kurzfristig für Erleichterung und Befriedigung, recht bald stellen sich Ärger, Wut und Scham ein. Folglich nimmt die Spannung wieder zu – so lange, bis es erneut zum Haareausreißen kommt, um eine Entlastung zu bewirken. Ein Teufelskreis nimmt seinen Lauf!
Trichotillomanie beeinträchtigt die Lebensqualität Betroffener deutlich. Kahle Stellen am Kopf und im Gesichtsbereich werden als Stigma empfunden. Betroffene schämen sich und verstecken sichtbare Folgen des Haareausreißens häufig unter Tüchern oder anderen Kopfbedeckungen. Angesprochen auf ihr Erscheinungsbild, kommt es durchaus zu Ausflüchten. Man kann derzeit von einer relativ hohen Dunkelziffer bei Trichotillomanie aus.
Wie zeigt sich Trichotillomanie?
Charakteristisch für Trichotillomanie ist der Zwang, sich Haare auszureißen. Wie das passiert, ist individuell sehr unterschiedlich. Zumeist sind die Kopfhaare betroffen, doch auch andere Körperhaare (Arm-, Bein- und Schambehaarung beziehungsweise Barthaare) sowie Wimpern und Augenbrauen werden ausgerissen. Manchmal beschränkt sich das Haareausreißen auch nur auf eine bestimmte Art von Haaren (beispielsweise abstehende, besonders dicke oder graue Haare). Der Trichotillomanie können einzelne Haare, Haarsträhnen oder gleich ganze Haarbüschel zum Opfer fallen.
Das Ausreißen der Haare passiert bewusst und unbewusst gleichermaßen. Manchmal ist es mit bestimmten Aktivitäten (Autofahren, Lesen, Fernsehen,…) verbunden. Ausgerissene Haare werden mitunter auch in den Mund genommen, gekaut und geschluckt, was man als Trichophagie bezeichnet. Dabei können sich Haarknäuel im Magen-Darm-Trakt bilden, was mit Komplikationen wie Bauchschmerzen einhergehen und das Risiko für einen Darmverschluss erhöhen kann.
Grundsätzlich sind mehr Frauen als Männer sind von Trichotillomanie betroffen. Auch familiäre Häufungen können beobachtet werden, wobei wissenschaftlich nicht geklärt ist, ob dabei tatsächlich eine genetische Komponente im Vordergrund steht oder ein erlerntes Verhalten durch Imitieren für das zwanghafte Haareausreißen dafür verantwortlich ist. Häufig tritt Trichotillomanie bereits in Kindheit oder Pubertät erstmalig auf. Pausen zwischen einzelnen Akutphasen sind nicht unüblich. So ist in manchen Fällen das Ausreißen der Haare über Monate oder gar Jahre kein Thema und tritt dann plötzlich wieder verstärkt auf.
Um eine Trichotillomanie zweifelsfrei diagnostizieren zu können, müssen andere Erkrankungen – auch solche organischen Ursprungs – ausgeschlossen werden. Tritt das Haareausreißen als Folge einer Psychose auf, handelt es sich dabei um keine Trichotillomanie im eigentlichen Sinne.
Trichotillomanie: Symptome und Verhaltensweisen im Überblick
Betroffene …
… reißen sich wiederholt Körperhaare aus. Sämtliche behaarte Körperstellen können betroffen sein.
… weisen dünne oder kahle Stellen, vor allem im Kopf- und Gesichtsbereich, auf.
… empfinden starke Anspannung vor dem Ausreißen der Haare oder auch beim Versuch, dem Impuls zu widerstehen.
… empfinden das Ausreißen der Haare als entspannend, lustvoll und erleichternd.
… haben mit starkem Schamgefühl zu kämpfen. Auch depressive Symptome, Langeweile sowie Wut sind mit dem zwanghaften Haareausreißen verbunden.
… ziehen sich oftmals zurück (sozialer Rückzug).
… kauen mitunter an den ausgerissenen Haaren oder schlucken diese hinunter.
Trichotillomanie: Ursachen und Auslösern für das zwanghafte Haareausreißen
Trichotillomanie erhält wissenschaftlich noch wenig Aufmerksamkeit, was sich unter anderem in der geringen Datenlage widerspiegelt. Dennoch ist davon auszugehen, dass das Ausreißen von Haaren in der Regel mit großer Anspannung, depressiven Gefühlen sowie Aggressionen verbunden ist. Auch Langeweile stellt als Ursache für zwanghaftes Haareausreißen keine Seltenheit dar. Betroffene beschreiben mitunter auch einen Gewöhnungseffekt und bezeichnen das Ausreißen der Haare als Ritual.
Trichotillomanie tritt oftmals bereits in der Kindheit oder frühen Jugend erstmalig auf. Häufig sind belastende Lebenssituationen wie etwa Mobbing oder die Trennung der Eltern die Auslöser. Auch Stress und Langeweile können zu einem zwanghaften Ausreißen der Haare führen, ebenso wie traumatische Erlebnisse (beispielsweise sexueller Missbrauch oder der Verlust einer nahestehenden Person).
Was hilft bei Trichotillomanie?
Von Trichotillomanie Betroffene verstecken die Krankheit und deren sichtbare Auswirkungen oftmals aus Angst, bewertet und ausgegrenzt zu werden. Das führt jedoch zu noch mehr Druck. Nicht nur wird das zwanghafte Ausreißen von Haaren viel zu häufig verschwiegen, auch Ärzte und Therapeuten nehmen es nicht immer ausreichend ernst. Das kann dazu dazu beitragen, dass sich Betroffene weiterhin bedeckt halten beziehungsweise ihre Beschwerden verharmlosen. Dabei ist Offenheit wichtig, um ausreichend Bewusstsein für die Erkrankung Trichotillomanie zu schaffen und Stigmata aufzubrechen.
Ein wesentlicher Schritt ist es also, offen mit Trichotillomanie umzugehen. Selbsthilfegruppen stellen eine Möglichkeit dar, mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten. Erfolge und Leid können auf diese Weise geteilt, der eine oder andere hilfreiche Ratschlag kann weitergegeben werden. Die Erfahrung, mit seinen Problemen nicht allein zu sein, stärkt ungemein und schafft eine gute Ausgangslage für sämtliche therapeutische Bemühungen.
Nicht zuletzt empfinden es Betroffene als hilfreich, jene Situationen, in denen es zu zwanghaftem Haareausreißen kommt, genau zu protokollieren. Das Ausreißen von Haaren geschieht nämlich nicht immer bewusst. Ein Gefühl dafür zu bekommen, wann sich die Trichotillomanie besonders stark bemerkbar macht, kann dabei helfen, mögliche Auslöser frühzeitig zu erkennen und dem Ausreißen der Haare entgegenzuwirken.
Mit gängigen therapeutischen Maßnahmen lassen sich bei Trichotillomanie gute Erfolge erzielen. In erster Linie ist hier eine geeignete Psychotherapie zu nennen. Medikamentöse Therapie kann unterstützend wirken, ist aber nachrangig. Auch alternative Methoden führen oftmals zu einer Verbesserung der Symptomatik.
Trichotillomanie: Therapie
Betroffene haben unterschiedliche Möglichkeiten, um dem Zwang des Haareausreißens den Kampf anzusagen:
Psychotherapie bei Trichotillomanie
Zwangshandlungen sind kognitiv fest verankert. Mit einer kognitiven Verhaltenstherapie lassen sich bei Trichotillomanie daher sehr gute Ergebnisse erzielen. Liegen konkrete Ursachen für das zwanghafte Haareausreißen in der Vergangenheit, können diese unter Umständen mit Hilfe einer Psychotherapie mit tiefenpsychologischem Ansatz aufgespürt und bearbeitet werden. Viele Betroffene machen mit Habit Reversal Training, einem speziellen verhaltenstherapeutischen Verfahren, das mehrere Ansätze kombiniert, gute Erfahrungen. Dabei wird die unerwünschte Verhaltensweise des Haareausreißens durch eine konkurrierende Verhaltensweise ersetzt. Die aktuelle Studienlage weist darauf hin, dass eine psychotherapeutische Behandlung bei Trichotillomanie in der Regel effektiver als eine medikamentöse Therapie ist.
Medikamentöse Therapie bei Trichotillomanie
Die medikamentöse Therapie bei Trichotillomanie stützt sich zumeist auf die Gabe von Antidepressiva. Hierbei kommen häufig SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) zum Einsatz, deren Wirkung allerdings relativ umstritten ist. Als effektiver gelten trizyklische Antidepressiva.
Alternative Verfahren bei Trichotillomanie
Neben Psychotherapie und medikamentöser Therapie gibt es noch weitere Ansätze, die gegen das zwanghafte Haareausreißen helfen können. Solche sind beispielsweise Meditation, progressive Muskelentspannung, Akupunktur oder Lichttherapie – um nur einige zu nennen. Regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung sorgen für Ausgeglichenheit und helfen dabei, Druck abzubauen und Anspannung zu reduzieren.
Ist Trichotillomanie heilbar?
Trichotillomanie ist noch zu wenig erforscht, um gültige Aussagen zur Prognose treffen zu können. Fest steht, dass das zwanghafte Haareausreißen mit Hilfe verschiedener Ansätze aus der Psychotherapie gut therapierbar ist. Alternative Verfahren (Meditation, progressive Muskelentspannung,…) können unterstützend wirken. Manche Betroffene profitieren zusätzlich von einer medikamentösen Behandlung, während diese bei anderen keinerlei Wirkung zeigt. Mit entsprechender Therapie kann man belastende Symptome der Trichotillomanie also relativ gut in den Griff bekommen, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass künftig kein Haareausreißen mehr auftritt.
Nachdem Trichotillomanie häufig bereits im Kindes- und Jugendalter auftritt, ist hier besonders auf Vorbeugung zu achten. Die Stärkung des Selbstwertes steht im Fokus. Zudem sollte bei belastenden Ereignissen (Mobbing, Trennung der Eltern, Gewalterfahrung,…) rasch gehandelt und therapeutische Hilfe initiiert werden. Leiden Eltern selbst an Trichotillomanie, dann ist es wesentlich, das Haareausreißen – wenn irgendwie möglich – nicht direkt vor dem Kind zu praktizieren. Sonst kann es leicht zu einem Nachahmungseffekt kommen.