Prokrastination: Wenn das Aufschieben von Aufgaben zum Problem wird

Lästige Aufgaben schieben wir alle gerne auf … und noch einmal … und noch einmal … manchmal so lange, bis die Zeit letztendlich knapp wird. Prokrastination ist bei vielen von uns ein typisches Verhaltensmuster und in gewissem Maße auch völlig in Ordnung. Manchmal wird das ständige Aufschieben von Aufgaben allerdings zum Problem und schlägt dann auf die Psyche. 

Der folgende Artikel beschäftigt sich mit dem Thema Prokrastination und deckt auf, wann sie zum Problem wird. Welche Warnsignale gibt es und was hilft wirklich, um der leidigen „Aufschieberitis“ im Zweifelsfall ein Ende zu setzen? 

 Was ist Prokrastination eigentlich? 

 Der Begriff Prokrastination stammt aus dem Lateinischen und lässt sich am besten mit Aufschub oder Vertagung übersetzen. Damit wird der Kern der Sache deutlich: Prokrastination meint das Verschieben diverser – meist unangenehmer – privater oder beruflicher Aufgaben auf einen späteren Zeitpunkt. Was kurzfristig Erleichterung verschaffen mag, kann langfristig durchaus mit großem Stress und Leidensdruck verbunden sein – im schlimmsten Fall drohen gar Konsequenzen, weil wichtige Dinge nicht zeitgerecht erledigt werden.  

Beim Prokrastinieren laufen komplexe innerpsychische Prozesse ab. Was sich häufig beobachten lässt: Statt der eigentlichen Aufgabe, die es zu erledigen gilt, werden liebend gerne Ersatztätigkeiten ausgeführt. Eine blitzblank geputzte Wohnung, während das Formular für den Steuerausgleich unausgefüllt auf dem Tisch liegt? Wahrlich keine Seltenheit! So gesehen hat Prokrastination nicht unbedingt etwas mit Faulheit zu tun, obwohl man ihr das gerne nachsagt.  

Prokrastination hat im saloppen Sprachgebrauch übrigens auch den klingenden Namen Aufschieberitis, was durchaus einen gewissen Leidensdruck suggeriert.  

 Was sind die Gründe für Prokrastination? 

 Was bringt uns nun aber dazu, Aufgaben frei nach dem Motto: „Morgen ist auch noch ein Tag!“ vor uns herzuschieben? Ursachen für Prokrastination sind durchaus sehr vielfältig. Häufig liegen sie in der Person selbst begründet, manchmal sind es aber auch äußere Faktoren, die zum Tragen kommen. 

 So neigen Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen eher dazu, Unangenehmes aufzuschieben. Ängstliche Menschen etwa prokrastinieren aus Angst vor Misserfolg und Kritik, während perfektionistische Menschen sich gerne im Detail verlieren oder aufgrund ihrer hohen Anspruchshaltung gar nicht erst mit der Aufgabe beginnen. Ein geringer Selbstwert, hohe Ablenkbarkeit oder eine gewisse Wankelmütigkeit können Prokrastination ebenso begünstigen wie ein Mangel an Ausdauer und Konzentration sowie schlechtes Zeitmanagement. Nicht zuletzt neigen wir dazu, nach rascher Befriedigung zu suchen, weil das kurzfristig unser Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Dass langfristige Aufgaben da nicht mithalten können, mag spontane Ersatzhandlungen erklären.    

Äußere Faktoren liegen häufig in der zu erledigenden Aufgabe selbst. Ist diese unangenehm, unklar oder fehlt die Struktur, steigt die Gefahr des Aufschiebens. Das ist auch dann der Fall, wenn man alleinverantwortlich ist, oder es keine Deadline gibt.  

 Wie viel Aufschieben ist normal?  

Die gute Nachricht ist, dass Prokrastination bis zu einem gewissen Grad völlig normal ist. Will heißen, die meisten von uns tun es zeitweise oder auch regelmäßig. Zunächst bedeutet das auch nur, dass Aufgaben aufgeschoben werden, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu erledigen. Insofern gilt Prokrastination als erlernte Verhaltensweise. Sie zieht sich zwar durch alle Altersklassen, dürfte aber vor allem bei der jüngeren Generation stark verbreitet sein. Über einen Zusammenhang mit neuen technologischen Möglichkeiten, sich abzulenken, darf spekuliert werden. Statistischen Schätzungen zufolge muss man übrigens davon ausgehen, dass etwa 20 % aller Menschen zu regelmäßigem Prokrastinieren neigen – wahrlich kein geringer Anteil! 

 Wann wird Prokrastination zum Problem? 

Die Dinge ab und zu vor sich herzuschieben, ist kaum problematisch. Schwierig wird es dann, wenn sich durch das Prokrastinieren Konsequenzen ergeben und Leidensdruck entsteht. Der Grat ist hier ein durchaus schmaler. Steigt unser Stresslevel und werden Auswirkungen spürbar, kann die Situation sehr plötzlich kippen. Nicht nur hat das im schlimmsten Fall private und berufliche Folgen – wenn etwa wiederholt wichtige Vereinbarungen, Termine oder Deadlines nicht eingehalten wurden – auch die psychische Gesundheit leidet. Experten schätzen, dass etwa 7-15 % aller Menschen in einem solchen Maß prokrastinieren, dass sich im Alltag ernsthafte Konsequenzen ergeben.      

Wenn Prokrastination auf die Psyche schlägt 

Man liest zwar öfter von krankhafter oder pathologischer Prokrastination, jedoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass es bisher keine entsprechende Diagnose nach ICD-10 beziehungsweise ICD-11 gibt. Wohl ist man sich aber darüber bewusst, dass Auswirkungen übermäßigen Prokrastinierens starken Leidensdruck verursachen können, was sich ungünstig auf Körper und Psyche auswirkt. Jüngere (Forschungs-)Bestrebungen zielen daher darauf ab, den Krankheitswert intensiven Prokrastinierens anzuerkennen und Möglichkeiten therapeutischer Unterstützung zu schaffen. So gibt es an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster etwa eine eigene Prokrastinationsambulanz.   

In der Praxis kann sich übermäßiges Aufschieben vielseitig auf Körper und Psyche auswirken. So entstehen nicht nur problematische Denk- und Verhaltensmuster, auch der Selbstwert leidet mitunter massiv. Typische Symptome sind neben vermehrten Ängsten, depressiver Verstimmung oder Depression auch Schlaf- und Appetitstörungen, Magen-Darm-Beschwerden sowie diverse Schmerzzustände wie Rücken- oder Kopfschmerzen. Zudem ist die Gefahr gegeben, das gefühlte Unvermögen mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln zu kompensieren. Gerade bei jüngeren Menschen sind auch Internet- beziehungsweise Spielsüchte häufig Thema. Langfristig drohen neben sozialer Isolation und Einsamkeit auch finanzielle Sorgen und sozialer Abstieg – etwa wenn sich Probleme im Job oder Ausbildungsweg ergeben. 

Auch über einen Zusammenhang beziehungsweise ein Wechselspiel von Prokrastination und Erkrankungen wie Angststörung, Depression oder ADHS wird diskutiert. 

 Wie erkennt man krankhafte Prokrastination? 

Oben genannte Auswirkungen des Prokrastinierens sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass etwas aus dem Ruder läuft. Doch schon vorher zeigen sich häufig etwas subtilere Warnsignale, die vielleicht nicht gleich als solche wahrgenommen und deshalb ignoriert werden. Dabei können genau diese dabei helfen, das Problem zu erkennen und gegenzusteuern. Ein kleiner Überblick gängiger Symptome und Warnsignale übermäßiger Prokrastination daher folgend. 

Prokrastination: Warnsignale im Überblick 

  • Dinge werden aufgeschoben, die eigentlich Freude machen und wichtig sind 
  • schlechte Planung/Zeitmanagement 
  • unrealistische Ziele und falsche Priorisierung 
  • hohe Ablenkbarkeit/häufige Unterbrechungen von Tätigkeiten 
  • Konsequenzen im Alltag oder Beruf → finanzielle Schwierigkeiten, sozialer Abstieg
  • Stress 
  • Leistungsabfall 
  • Schlaf- und Appetitstörungen 
  • Magen-Darm-Beschwerden 
  • Kopf- und Rückenschmerzen 
  • Schuldgefühle/schlechtes Gewissen 
  • negative Auswirkungen auf Selbstwert und Selbstbewusstsein 
  • Gefühl der Wertlosigkeit 
  • Anspannung, innere Unruhe und Ängste (v.a. vor Kritik und Versagen) 
  • depressive Verstimmung/Depression 
  • Erschöpfung 
  • Unsicherheit und Selbstzweifel 
  • Suchtverhalten 
  • Einsamkeit/soziale Isolation 

 Was hilft gegen Prokrastination? 

Benötigt man nun professionelle Hilfe, wenn die Aufschieberitis häufiger Begleiter im Alltag ist? Die Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Fest steht jedenfalls, dass neben gängiger Tipps und Tricks auch manche Therapieansätze gut geeignet sind, den Teufelskreis langfristig zu durchbrechen. Zeigen sich durch regelmäßiges Prokrastinieren bereits Konsequenzen und ist der Leidensdruck groß, macht es daher Sinn, sich Unterstützung zu suchen.  

Prokrastination – was Therapie bewirken kann 

 Es hat sich gezeigt, dass der Ansatz der kognitiven Verhaltenstherapie gut geeignet ist, um die Problematik intensiven Prokrastinierens in den Griff zu bekommen und bestehenden Leidensdruck zu minimieren. Das verwundert nicht, zielt diese Therapierichtung doch darauf ab, Verhalten, Gedanken und Gefühle gemeinsam in den Blick zu nehmen und so an einer Veränderung problematischer Verhaltensmuster zu arbeiten. Verschiedene Bewältigungsstrategien sorgen dann langfristig für psychische Stabilität.  

Neben Strategien, die realistische Zielsetzungen und ein sinnvolles Zeitmanagement forcieren, kommt gerne die Methode der Arbeitszeitrestriktion zum Einsatz. Hierbei werden bestimmte Zeitfenster festgelegt, innerhalb derer gearbeitet wird. Außerhalb dieser muss die Arbeit unterbrochen werden. Je nachdem, wie effektiv gearbeitet wird, werden die Zeitfenster in weiterer Folge ausgedehnt. So lernt man auf lange Sicht, sich wieder auf eine Sache zu fokussieren und diese nicht ständig zu verschieben.    

Prokrastination: Alltagstipps gegen das Aufschieben 

Neben professioneller Hilfe bei besonders großem Leidensdruck gibt es auch einige praktische Tipps und Tricks, die man ausprobieren kann, um der lästigen Aufschieberitis ein Ende zu bereiten. Die besten davon dürfen abschließend nicht fehlen.  

  • Das Wichtigste zuerst: Prokrastinieren passiert häufig, weil man zu bearbeitende Aufgaben nicht nach Wichtigkeit ordnet und sich dann verzettelt. Priorisieren ist daher angesagt! Oftmals hilft es auch, besonders schwierige oder unangenehme Aufgaben nach vorne zu reihen, damit man sie rascher abhaken kann. 
  • Planung ist alles: Ein guter Plan kann der leidigen Aufschieberitis rasch ein Ende bereiten. Doch Zeitmanagement will gelernt sein. Hier gibt es tatsächlich professionelle Unterstützung in Form von Kursen und Coachings. Viele Menschen hilft es zum Beispiel, Aufgaben in überschaubare Portionen zu gliedern oder Protokolle zum Arbeitsverlauf anzufertigen. 
  • Weniger ist mehr: Dass wir uns meistens deutlich zu viel vornehmen, ist eine Tatsache. Das sorgt für Frustration und führt letztendlich dazu, die Dinge aufzuschieben. Was hilft: Das Arbeitspensum zu reduzieren! Darüber hinaus sollten wir nach Möglichkeiten auf Multitasking verzichten, denn dafür ist unser Gehirn nicht ausgelegt. Besser eine Aufgabe nach der anderen erledigen! 
  • Bitte nicht stören: Damit man sich auf die jeweilige Aufgabe konzentrieren und sie effektiv erledigen kann, ist es wichtig, nicht abgelenkt zu werden. Also bitte alle Störungsquellen – allen voran das Smartphone – ausschalten!  
  • Rituale erleichtern den Start: Liebgewonnene Gewohnheiten geben uns ein gutes Gefühl und erleichtern es uns, in die Arbeit hineinzufinden. Ob das ein Spaziergang, eine Tasse Kaffee oder ein kurzer Tratsch mit Kollegen ist, bleibt uns überlassen. 
  • Erfolg darf man sehen: Nichts motiviert so sehr wie kleine und größere Erfolge. Diese sichtbar zu machen – indem man etwa Aufgaben von der To-do-Liste streicht – ist also ausdrücklich gestattet.   
  • Delegieren erlaubt: Wenn wir uns für alles alleinverantwortlich fühlen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwann prokrastinieren. Was hilft? Delegieren! 
  • Auf die innere Uhr hören: Jeder von uns hat Leistungsphasen, in denen man besonders effizient arbeitet. Sich danach zu richten, beugt Prokrastination vor. 
  • Work-Life-Balance im Blick behalten: Arbeit und Freizeit deutlich voneinander abzugrenzen, hilft dabei, die Arbeitszeit effizienter zu nutzen und Aufgaben nicht auf die lange Bank zu schieben.