Mental Load als Alltagsphänomen zeigt auf, dass das Thema Gleichberechtigung nach wie vor stiefmütterlich behandelt wird. Man versteht darunter (Denk-)Aufgaben, die größtenteils von Frauen übernommen werden. Ob Essenspläne, Einkäufe, Kinderarzttermine oder das nächste Geburtstagsgeschenk – die Liste scheint schier unendlich. Dass das nicht ohne Schieflage in der Beziehung und Raubbau an den eigenen Ressourcen vonstattengehen kann, verwundert kaum.
Was versteht man unter Mental Load?
Mental Load ist als Phänomen nicht neu, gerät aber in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus. Immerhin erhöht er nicht nur das Risiko für Erschöpfung bis hin zum Burnout, er zeigt zudem auf, dass es um tatsächliche Gleichberechtigung nach wie vor schlecht bestellt ist.
So bezeichnet Mental Load die psychische Last gesammelter Verantwortung für die Organisation des alltäglichen Lebens. Das schließt vom Haushalt über Partnerschaft, Kindererziehung und Berufstätigkeit bis hin zu Sozialleben und Freizeit alles mit ein. Salopp formuliert, unterscheidet Mental Load nur wenig vom Projektmanagement großer Firmen – wenn man von der fehlenden Vergütung absieht, versteht sich. Planung, Koordination, Ausführung, Kontrolle und Abschluss – in den zumeist weiblichen Köpfen türmen sich To-dos, bis es raucht.
Das Brisante an der Sache? Was sich in den Köpfen sammelt, sieht man von außen nicht. Denkarbeit, die notwendig ist, um Dinge überhaupt zu einem Abschluss bringen zu können, bleibt unsichtbar. Auch uns selbst ist das tatsächliche Ausmaß in vielen Fällen gar nicht bewusst. Dass uns der Routine-Kinderarzttermin bereits allerhand abverlangt, bevor wir auch nur einen Schritt in die Arztpraxis gesetzt haben? Im Alltag geht das eben irgendwie unter…
Mental Load in Schieflage
Die mentale Denkarbeit und Organisation liegen in heteronormativen Paarbeziehungen mehrheitlich beim weiblichen Geschlecht. Dabei ist diese Schieflage nicht immer augenscheinlich, da moderne Männer ja durchaus präsent sind und Aufgaben übernehmen. Bloß, dass das ganze Drumherum eben vorrangig bei einem Partner – meist der Frau – liegt. Nicht immer ist das Paaren im vollen Ausmaß bewusst, wenngleich Belastung und Erschöpfung mitunter eine deutliche Sprache sprechen. Intuitiv mag die Schieflage spürbar sein, jedoch hinterfragen Frauen solche Dynamiken und Prozesse viel zu wenig. Hierfür gibt es viele Gründe, allen voran Sozialisation, bestehende gesellschaftliche Normen sowie tradierte Rollenbilder.
Neben dem Mental Load ist übrigens auch die emotionale Denkarbeit bei Frauen überrepräsentiert. So ist es vorrangig das weibliche Geschlecht, das sich für Wünsche und Bedürfnisse der Liebsten zuständig fühlt und möchte, dass es allen gut geht.
Warum vor allem Frauen mental belastet sind
Warum vor allem Frauen mit übermäßigem Mental Load zu kämpfen haben, ist rasch erklärt: Nach wie vor sind traditionelle Rollenbilder vorherrschend. Sozialisation und Erziehung prägen uns mehr, als wir uns oft eingestehen wollen. Solche Rollenbilder werden über Generationen aufrechterhalten. Sie aufzubrechen und Veränderung herbeizuführen ist ein langwieriger Prozess. Dazu braucht es vor allem auch Bewusstsein über die bestehende Schieflage, sonst kommen Veränderungsprozesse gar nicht erst in Gang.
Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass sich mit der Familiengründung bestehende Rollenbilder verfestigen. Karenzzeiten werden zumeist von Frauen abgedeckt und es sind in der Regel auch die Mütter, die in den ersten Jahren die Erwerbsarbeit reduzieren. Damit bleibt Familienarbeit – und vor allem auch das damit zusammenhängende Verantwortungsgefühl – bei der Frau hängen, auch wenn die Kinder größer werden und sie wieder voll einsteigt. Parallel dazu verfestigt sich natürlich auch das männliche Rollenbild als Versorger, dem selbstverständlich der Rücken freigehalten wird.
Nicht zuletzt hinterfragt man in bestehenden Systemen Aufgabenverteilungen recht wenig, sofern alles reibungslos funktioniert. Auf diese Weise erlangen Frauen und Mütter einen gewissen Kompetenzvorsprung, der die Dynamik weiter verschärft. Sie können es vermeintlich „besser“, sodass man sich ganz einfach auf sie verlässt. Am Status quo stellt man dann natürlich keinen Veränderungsbedarf mehr fest.
Interessanter Aspekt am Rande: Diese Rollenbilder, von denen wir sprechen, sind keineswegs angeboren, sondern schlicht und ergreifend sozialisiert!
Mental Load – wenn nichts mehr geht
Durch Mental Load ausgelöste Überlastung wird als gegeben hingenommen und kaum hinterfragt. Zu bestehenden Rollenbildern gesellen sich gesellschaftliche Erwartungen, die von Perfektionismus geprägt sind. Unzählige To-dos bestimmen nicht nur unseren Alltag, sondern auch unser Denken. Abschalten? Leider Fehlanzeige!
Irgendwann wird die mentale Belastung so übermächtig, dass die Situation kippt. Wir stehen unter Dauerstress – und dass solcher seelische und körperliche Beschwerden nach sich zieht, ist bekannt. Übermäßiger Mental Load kann also nicht nur unangenehme Symptome auslösen, im schlimmsten Fall führt er auf direktem Weg ins Burnout. Erschöpfung, vermehrte Gereiztheit, Nervosität, Müdigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Beschwerden – all das können Warnzeichen sein. Wenn man nicht entgegensteuert, geht irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes gar nichts mehr.
Was tun gegen Mental Load?
Wie kann man im Alltag gegen Mental Load vorgehen? Nun, entscheidend ist es, mentale (Über-)Belastung in einem ersten Schritt zu erkennen und klar zu benennen. Erst so wird aktive Veränderung überhaupt erst möglich. Das ist leichter gesagt als getan, da vieles unbewusst abläuft. Nicht zuletzt ist hier also unsere Intuition gefragt – ein Hineinspüren in sich selbst und das Wahrnehmen von Strapazen, Überforderung, Wünschen und Bedürfnissen.
Den tatsächlichen Mental Load zu erkennen und abzubilden, öffnet Tür und Tor, um diesen abzubauen beziehungsweise fair(er) zu verteilen. Ist dies erst einmal gelungen, ist es wichtig, mentale Belastungen im Alltag auch weiterhin im Blick zu haben, sodass es nicht wieder zu einer Schieflage kommt.
Wege aus der Mental-Load-Falle
Konkrete Tipps, um Mental Load zu erkennen, abzubauen und von Zeit zu Zeit neu zu bewerten, dürfen zum Abschluss nicht fehlen.
Mental Load erkennen
Im Internet sowie in der Ratgeberliteratur finden sich Tests und Checklisten, um Mental Load festzustellen. Solche können sinnvoll sein, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was da überhaupt alles hineinfällt. Ebenso wesentlich ist es, zu erkennen, wann Mental Load aus dem Ruder läuft, uns stresst und überfordert. Leider neigen wir dazu, unsere Grenzen zu ignorieren. Auf das eigene Bauchgefühl zu hören und Hilferufe des Körpers ernst zu nehmen, ist langfristig also ganz besonders wichtig.
Mental Load sichtbar machen
Bewusstwerden und Sichtbarmachen von Mental Load ist unumgänglich, um überhaupt eine Veränderung bewirken zu können. Hier bewährt sich die gute alte Liste. Es wird alles notiert, was anfällt – und zwar der gesamte Prozess inklusive organisatorischer Denkarbeit. Ausmaß und Frequenz einzelner Tätigkeiten sind dann ebenso wie Zuständigkeiten auf einen Blick ersichtlich.
Mental Load fair verteilen
Ist ein guter Überblick vorhanden, geht es darum, Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen so zu verteilen, dass sie halbwegs ausgeglichen sind. Wie das im Detail aussieht, ist ganz unterschiedlich. Natürlich darf auch immer wieder umverteilt werden. Schließlich ist das Leben im Fluss – und damit auch unser Alltag samt seinen Herausforderungen.
Loslassen will gelernt sein
Outsourcing und Delegieren sind die Zauberwörter – und anschließend gedanklich nicht involviert bleiben. Liegt die Verantwortlichkeit bei anderen, müssen wir uns für das Gelingen nicht zuständig fühlen. Fehler sind dann nicht unser Problem, aus denen lernt man ja bekanntlich sogar. Wichtig ist also, nicht nur die Aufgabe selbst abzugeben, sondern auch die Denkarbeit, die damit verbunden ist. Mit der Zeit fällt das leichter, denn schließlich sind wir unseren Gedanken nicht völlig ausgeliefert, sie sind veränderlich. Für Familien gilt übrigens: Auch an den Nachwuchs darf delegiert werden!
Ansprüche und Perfektionismus herunterschrauben
So einiges an Mental Load könnten wir uns ersparen, wenn wir nur unseren eigenen Ansprüchen genügen und nicht jenen der Gesellschaft. Den Perfektionismus etwas herunterzuschrauben verschafft uns nicht nur Luft, es werden auch Ressourcen frei, die sich gut für die schönen Dinge im Leben nutzen lassen. Ein Haushalt wie aus der Reklame, selbstgebackene Muffins für das Schulbuffet oder ein Posten im Elternrat – klingt alles nett, ist aber eben nicht notwendig, wenn es uns stresst.
Mental Load im Alltag im Blick behalten
Nicht nur verändert sich der Alltag mit seinen Aufgaben stetig, wir neigen auch dazu in alte Muster zu fallen. Deshalb macht es Sinn, den Mental Load im Blick zu behalten und von Zeit zu Zeit neu zu bewerten, ob er noch fair verteilt ist. Regelmäßige Familienkonferenzen mögen vielleicht ein wenig altbacken klingen, sind aber äußerst effektiv.