Pflanzliche Heilmittel sind sehr beliebt. So mancher Patient schätzt Heilpflanzen und ihre Wirkung und auch präventiv kommen Wirkstoffe aus der Natur gerne zum Einsatz. Phytotherapie – so der Fachbegriff für die Pflanzenheilkunde – blickt auf eine lange Tradition zurück. Man unterscheidet zwischen traditioneller Naturheilkunde sowie naturwissenschaftlich orientierter rationaler Phytotherapie. Pflanzliche Medikamente (Phytopharmaka) finden demnach auch in der klassischen Schulmedizin Anwendung.
Dieser Artikel befasst sich mit Geschichte und Inhalt der Phytotherapie ebenso wie mit der Wirkung und Anwendung unterschiedlicher Heilpflanzen. Zudem sollen Möglichkeiten, Grenzen sowie Risiken pflanzlicher Medikamente beleuchtet werden. Darüber hinaus gehen wir der Frage nach, wie sinnvoll es ist, Heilpflanzen selbst anzubauen und worauf man dabei achten muss.
Was versteht man unter Phytotherapie?
Phytotherapie meint im weiteren Sinne „Pflanzenheilkunde“ (phytos = Pflanze). Die traditionell orientierte Pflanzenheilkunde geht auf eine Jahrtausende alte Tradition zurück und wird in nahezu allen Kulturen der Erde angewendet. Nicht nur kommen verschiedene Teile der Heilpflanze zum Einsatz, auch Darreichungsformen sind unterschiedlich. Zudem ist bei der Kräuterheilkunde gemeinhin ein ausgewogenes Zusammenspiel unterschiedlicher Wirksubstanzen von Bedeutung.
Wer die Kräuterheilkunde als Humbug abtut, irrt. Längst hat die Phytotherapie Einzug in die Naturwissenschaften gehalten. Der französische Arzt Henri Leclerc prägte den Begriff Phytotherapie im Jahre 1913 und meinte damit die naturwissenschaftlich orientierte Pflanzenheilkunde. Bis heute unterscheidet man demnach die traditionelle Phytotherapie von der naturwissenschaftlich orientierten rationalen Phytotherapie.
In der rationalen Pflanzenheilkunde werden mit Hilfe pharmazeutischer Verfahren Heilpflanzen verarbeitet und deren Wirkstoffe extrahiert. Auf diese Weise ist es möglich, Wirkstoffe in gleichbleibender Konzentration zu Medikamenten zu verarbeiten. Solche pflanzlichen Arzneimittel bezeichnet man auch als Phytopharmaka. Für Phytopharmaka verwendete Heilpflanzen stammen in der Regel aus kontrolliert biologischem Anbau.
Dass Nebenwirkungen bei pflanzlichen Medikamenten ausgeschlossen sind, ist ein Irrglaube. Wie bei synthetischen Arzneimittel auch, kann es zu unerwünschten Wirkungen kommen. Demzufolge ist es sinnvoll, pflanzliche Arzneimittel stets in Absprache mit dem behandelnden Arzt einzunehmen.
Übrigens: So manchen isolierten pflanzlichen Wirkstoff nehmen wir in chemisch nachgebauter Form ein. Ein klassisches Beispiel hierfür ist etwa der Schmerzstiller Salicylsäure, der der Weidenrinde entstammt.
Kräuterheilkunde blickt auf eine lange Tradition zurück
Die Pflanzenheilkunde gehört zu den ältesten medizinischen Therapieformen. Bereits früh kam Heilpflanzen und ihrer Wirkung große Bedeutung zu – und das in nahezu allen Kulturen. Überlieferungen über die Anwendung von Heilpflanzen strecken sich von Griechenland über Ägypten und Indien bis hin zu China. Aus dem Mittelalter ist uns die Verwendung pflanzlicher Heilmittel besonders vertraut. Man denke an die Klosterheilkunde mit ihrer klassischen Vertreterin Hildegard von Bingen. Mit Gründung der ersten Universitäten floss das Fachwissen über die Wirkung von Heilkräutern direkt in die wissenschaftliche Lehre ein.
Die rationale Phytotherapie nahm ihren Ausgang zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als es erstmals gelang, Einzelwirkstoffe aus Pflanzen zu isolieren (Morphin). Seit der Nachkriegszeit werden pflanzliche Wirkstoffe zudem chemisch synthetisiert. Es wird also deutlich, dass sich die Pflanzenheilkunde kaum von der klassischen Schulmedizin trennen lässt. Übergänge sind mitunter fließend.
Heilpflanzen und ihre Wirkung
In der Phytotherapie nutzt man Heilpflanzen in vollem Umfang. Damit kommen im Grunde alle Pflanzenteile (Zwiebel, Wurzel, Stängel, Samen, Rinde, Knospen, Frucht, Hülse, Holz, Blatt, Blüte,…) zur Anwendung, je nach gewünschter Wirkung. Zudem entfalten Heilkräuter ihre Wirkung häufig im Zusammenspiel mehrerer Wirkstoffsubstanzen (= Vielstoffgemische). Diese ergänzen einander und erzielen dadurch mitunter ein breiteres Wirkspektrum als einzelne Inhaltsstoffe. Demgegenüber steigt aber natürlich das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen an, je mehr Substanzen beinhaltet sind.
Gängige Wirkstoffsubstanzen bei Heilkräutern sind beispielsweise:
- Bitterstoffe (zum Beispiel Enzian)
- ätherische Öle (etwa Pfefferminz oder Thymian)
- Schleimstoffe (beispielsweise Eibisch)
- Alkaloide (Mohn oder Tollkirsche)
- Gerbstoffe (etwa Frauenmantel)
- Glykoside (roter Fingerhut)
- Saponine (beispielsweise Schlüsselblume oder Birkenblatt)
- Flovonoide (Kamille oder Johanniskraut)
- Cumarine (etwa Kümmel)
Phytotherapie: breites Anwendungsspektrum
Ein wesentlicher Vorteil der Phytotherapie liegt sicherlich in den vielfältigen Möglichkeiten, die sich in Bezug auf die Anwendung ergeben. Etwa 70.000 verschiedene Pflanzenarten finden aktuell in Form von Phytopharmaka Verwendung. Anwendungsmöglichkeiten sind mannigfaltig, deshalb kommen pflanzliche Medikamente bei einer Vielzahl von akuten sowie chronischen Beschwerden zum Einsatz. Doch auch präventiv finden sie gerne Anwendung.
Pflanzliche Arzneimittel kommen beispielsweise zur Anwendung bei:
- Erkältungskrankheiten (Pfefferminze, Kamille, Thymian, Eibisch, Salbei,…)
- Nervosität, Schlafproblemen oder leichten Stimmungstiefs (Baldrian, Hopfen, Johanniskraut,…)
- Magen-Darm-Beschwerden (Kümmel, Fenchel, Anis,…)
- Menstruationsbeschwerden (Schafgarbe, Frauenmantel, Eisenkraut,…)
- Wunden (Arnika, Kamille, Frauenmantel,…)
- Hautproblemen (Eichenrinde, Ringelblume,…)
- Muskel-/Gelenksbeschwerden (Löwenzahn, Arnika, Beinwell, Ringelblume,…)
- Harnwegsproblemen (Preiselbeere, Heidelbeere, Goldrute,…)
- Herz-Kreislauf-Problemen (Weißdorn, Knoblauch, Rosmarin,…)
Auch die Darreichungsformen von pflanzlichen Medikamenten sind vielfältig. Phytopharmaka sind erhältlich als:
- Tees
- Säfte
- Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Zäpfchen
- Gurgellösungen
- Badezusätze
- Umschläge/Wickel
- Inhalationen
- Tinkturen, Salben, Cremen, Gel, Öle
- Pulver
Heilkräuter: Wirkung und Grenzen
Leichte Beschwerden werden gerne in Selbsttherapie mit Phytopharmaka behandelt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass auch pflanzliche Arzneien Medikamente sind und keinesfalls wahllos eingenommen werden sollten. Die Rücksprache mit Arzt oder Apotheker ist ratsam. In manchen Fällen macht es überdies Sinn, pflanzliche Arzneimittel mit klassischen Therapien der Schulmedizin zu kombinieren. Selbstverständlich dürfen auch die Grenzen der Phytotherapie nicht außer Acht gelassen werden. Bei schwerwiegenden Leiden und in der Akutmedizin sind Phytopharmaka in der Regel nicht beziehungsweise allenfalls ergänzend angezeigt.
Pflanzliche Medikamente: Risiken und Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
In pflanzlichen Arzneimittel verwendete Pflanzen stammen in der Regel aus biologisch kontrolliertem Anbau und weisen meist eine gute Verträglichkeit auf. Das Verhältnis von erwünschten und unerwünschten Wirkungen ist gemeinhin gut ausbalanciert. Allerdings werden Phytopharmaka in Bezug auf Wirkungskraft sowie Nebenwirkungen nicht selten unterschätzt. So ist es unbedingt notwendig, die Packungsbeilage zu lesen und Dosierungsempfehlungen genau einzuhalten, da sonst Neben- oder Wechselwirkungen drohen. Eine ärztliche Abklärung vor der Einnahme ist ist vor allem bei Kindern, Schwangeren/Stillenden, Allergikern oder Personen mit beeinträchtigtem Immunsystem angezeigt. Auch eine langfristige Einnahme sollte mit dem Arzt besprochen werden.
Falsch angewendet, können Phytopharmaka allergische Reaktionen oder auch Herz-Kreislauf-Reaktionen auslösen. Zudem sind leber- und nierenschädigende sowie krebsauslösende Wirkungen möglich. Verstärken sich unter Anwendung pflanzlicher Medikamente die Beschwerden oder tritt Fieber auf, sollte der Arzt konsultiert werden. Bei Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwindel oder Hautreaktionen sollte die Behandlung mit Phytopharmaka abgebrochen werden.
Kann man Heilpflanzen selbst anbauen?
Für eine entsprechende Wirksamkeit von Heilpflanzen ist neben der Qualität der Pflanzen auch deren Ernte, Trocknung und Verarbeitung wesentlich. Es empfiehlt sich deshalb, auf Phytopharmaka aus dem Handel zurückzugreifen, da diese über entsprechende Standards in Bezug auf Qualität und Wirkung verfügen. So müssen phytotherapeutische Arzneimittel nämlich – ebenso wie synthetische Präparate – vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen werden. Damit das uneingeschränkt passiert, ist ein wissenschaftlicher Wirknachweis notwendig.
Gegen den Anbau von Heilpflanzen beziehungsweise das Pflücken wildwachsender Pflanzen spricht aber natürlich nichts, sofern man sich entsprechendes Fachwissen aneignet und im Zweifelsfall bereit ist, in Bezug auf Qualität und Wirksamkeit Abstriche zu machen.
Im eigenen Garten oder am Balkon wachsen und gedeihen Heilkräuter gut. Der Standort sollte entsprechend gewählt sein, Pflanzen beziehungsweise Saatgut sollten Bioqualität aufweisen. Auf Düngungen verzichtet man nach Möglichkeit besser, denn diese verhelfen zwar zu mehr Üppigkeit, wirken sich aber negativ auf die Wirkung der Heilkräuter aus.
Beim Pflücken wildwachsender Pflanzen gilt es, einige Maßnahmen zu beherzigen:
- Es sollten ausschließlich Heilkräuter gesammelt werden, die zweifelsfrei bekannt sind. Verwechslungen mit (giftigen) Doppelgängern können schwerwiegende Folgen haben.
- Die Heilpflanzen sollten kräftig und gesund aussehen, beschädigte Pflanzen lässt man besser stehen.
- Sammelorte, an denen Pestizide verwendet werden (landwirtschaftliche Nutzung), oder solche in der Nähe von Autobahnen und stark befahrenen Straßen sollten gemieden werden. In Naturschutzgebieten darf nicht gesammelt werden!
- Oberirdische Teile der Heilpflanze pflückt man am besten bei Sonnenschein, da sich dann besonders viele Wirkstoffe an der Pflanzenoberfläche befinden. Außerdem sollten die Pflanzenbestandteile keinesfalls abgebraust werden, da dabei wertvolle Inhaltsstoffe verloren gehen können.
- Heilkräuter sammelt man am besten in einem Korb beziehungsweise einer Jute- oder Papiertüte. Plastiktüten sind ungeeignet, da sich durch entstehende Kondensflüssigkeit wichtige Inhaltsstoffe verflüchtigen können.
Wer also glaubt, dass Heilpflanzen nichts als Aberglaube sind, der irrt gewaltig. Bei der richtigen Anwendung können auch pflanzliche Arzneimittel ausgezeichnete Ergebnisse liefern. Dabei ist das keine Entweder-Oder-Frage: Auch eine Kombination aus Phytotherapie und klassischer Schulmedizin kann im individuellen Fall bestmögliche Ergebnisse erzielen.