Synästhesie – vom Farben hören und Töne schmecken

Bei der Synästhesie handelt es sich um ein neurobiologisches Phänomen, das sich in einer besonderen Wahrnehmung über mehrere Kanäle der Sinnesempfindung widerspiegelt. So können Synästhetiker etwa Farben hören, Buchstaben fühlen oder Töne schmecken – für die meisten Menschen eine völlig unglaubliche Vorstellung. Kein Wunder, dass man vielen großen Künstlern eine solche erweiterte Wahrnehmung nachsagt. Doch was hat es mit dem Phänomen auf sich? Wie entsteht Synästhesie und wie zeigt sie sich im Alltag? 

Folgender Artikel soll rund um das Thema informieren und Wissenswertes über diese besondere Art der Wahrnehmung darlegen. 

Was ist Synästhesie? 

Synästhesie bezeichnet eine besondere Art der Wahrnehmung. Zu einer für sich stehenden Reizwahrnehmung kommen weitere Sinneswahrnehmungen hinzu. Man muss sich das so vorstellen, dass einem primären Reiz nachfolgend ein weiteres Gehirnareal aktiviert wird, das mit dem ursprünglichen Reiz nichts zu tun hat. Farben hören, Zahlen schmecken oder Wochentage fühlen? Für Synästhetiker das Normalste der Welt!   

Salopp formuliert, werden bei Synästhesie Sinneswahrnehmungen, die eigentlich unabhängig voneinander auftreten, gekoppelt. Das erklärt auch die Begriffsbedeutung: Syn stammt aus dem Griechischen und meint zusammen, während aisthesis für Empfindung steht. Dass eine solche Wahrnehmung von der Norm abweicht, ist für Synästhetiker kaum nachvollziehbar. Immerhin erleben sie ihre Art der Wahrnehmung als völlig alltäglich und gewöhnlich. 

Synästhesie: Daten und Fakten 

Aktuell schätzt man die Zahl von Menschen mit mindestens einer Form der Synästhesie auf etwa vier Prozent der Bevölkerung, wobei man von einer gewissen Dunkelziffer ausgehen muss. Wie genau die erweiterte Wahrnehmung entsteht, ist wissenschaftlich bisher nicht geklärt. Eine genetische Komponente scheint jedoch sehr wahrscheinlich, da es zu familiären Häufungen kommt – vor allem bei Verwandten ersten Grades. Man vermutet zudem, dass eine Synästhesie von Geburt an besteht. Belege dafür gibt es bisher allerdings nicht.  

Synästhetische Sinneswahrnehmungen können nicht willentlich kontrolliert werden, sie passieren also unwillkürlich. Dabei muss es nicht unbedingt ein realer Reiz sein, der die Zweitempfindungen auslöst, auch Vorstellungen und Gedanken bewirken das. Synästhesie als physiologisches Phänomen zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten, wobei Frauen etwas häufiger betroffen sein dürften als Männer. In der Regel bleibt diese Art der Sinneswahrnehmung ein Leben lang bestehen, manchmal verstärkt sie sich im Laufe der Zeit sogar.  

Übrigens lässt sich Synästhesie nachweisen, und zwar mit Hilfe von bildgebenden Verfahren. Da im Gehirn eben verschiedene Areale zugleich aktiv sind, kann man das im Rahmen einer Magnetresonanztomographie leicht abbilden. 

Welche verschiedenen Formen von Synästhesie gibt es? 

Synästhesie zeigt sich in sehr unterschiedlichem Gewand. Sowohl Form als auch Ausprägung variieren individuell. So können unzählige verschiedene Arten entstehen. Meist verschmelzen zwei Sinneseindrücke miteinander, doch theoretisch können es auch mehr sein. Nicht nur werden die fünf gängigen Sinneswahrnehmungen – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten – miteinander gekoppelt, Emotionen sind ebenso involviert.  

Viele verschiedene Varianten von Synästhesie sind möglich, die häufigsten nachfolgend im Überblick: 

Ein akustischer Grundreiz löst eine visuelle oder taktile Zweitempfindung aus. Mit Abstand am häufigsten tritt hier das sogenannte „Farben hören“ auf. Dabei werden Töne, also Sprache und Musik, farbig wahrgenommen. 

Graphem-Farb-Synästhesie: Hier sind Buchstaben oder Zahlen mit einer konkreten Farbempfindung gekoppelt. 

Geruchs-Synästhesie: Ein bestimmter olfaktorischer Reiz verursacht visuelle, akustische oder taktile Zweitempfindungen. 

Sequenz-Raum-Synästhesie: Zeitliche Einheiten wie Wochentage oder Monate erscheinen vor dem geistigen Auge räumlich angeordnet. 

Gefühls-Synästhesie: Emotionen werden farbig oder aber in einer bestimmten Form erlebt. 

Wie entsteht Synästhesie? 

Bei der Beantwortung der Frage, wie synästhetische Wahrnehmung entsteht, tappt die Forschung noch im Dunkeln. Es gibt zwar Faktoren, die eine Rolle spielen dürften, sowie unterschiedliche Theorien zur Entstehung von Synästhesie, konkrete Ursachen lassen sich jedoch kaum ausmachen.  

In jedem Fall ist ein genetischer Faktor naheliegend, da familiäre Häufungen auffallend oft vorkommen – vor allem bei Verwandten ersten Grades.  

Zudem besteht der Verdacht, dass Synästhesie angeboren ist. Immerhin kennen Synästhetiker zumeist nur diese Form der Sinneswahrnehmung und betonen in Befragungen, sie sei immer schon dagewesen. Dass Synästhesie tatsächlich von Geburt an besteht, gilt jedoch als umstritten. Eventuell kommen Umwelteinflüsse doch stärker zum Tragen, als man denkt. Auch eine bestehende Übererregbarkeit im Gehirn wird diskutiert. Eines jedoch steht zweifelsfrei fest: Die Vielfalt des Phänomens Synästhesie erschwert die Ursachenforschung! 

Hat Synästhesie Krankheitswert? 

Es muss deutlich herausgestrichen werden, dass es sich bei Synästhesie um keine Krankheit handelt, sondern um eine völlig normale physiologische Form von Bewusstsein, die nicht erlernbar und dauerhaft vorhanden ist. Synästhesie präsentiert sich in großer Vielfalt und ist keineswegs Anzeichen für eine Bewusstseinsstörung. Vielmehr zeigt sie auf, wie komplex und vielseitig unser Gehirn funktioniert. Dahingehend darf man sie ruhig auch als Gabe betrachten. Im Normalfall bleibt die erweiterte Art des Bewusstseins lebenslang bestehen. 

Davon abgrenzen lassen sich kurzzeitige synästhetische Sinneswahrnehmungen, wie sie bei bestimmten Erkrankungen oder unter Drogeneinfluss auftreten können. Hier laufen physiologische Prozesse ganz klar aus dem Ruder und Krankheitswert ist gegeben. Beispiele sind etwa Halluzinationen, Psychosen oder Tumorerkrankungen. Auch die Einnahme psychoaktiver Substanzen kann ein solches Geschehen auslösen.   

Synästhesie korreliert mit manchen Eigenschaften 

Beobachtungen nach zu urteilen, dürfte eine synästhetische Wahrnehmung auffallend häufig mit bestimmten Eigenschaften korrelieren. So sagt man Synästhetikern etwa nach, dass sie mit einer guten Vorstellungskraft gesegnet sind und einen gewissen Blick für Details haben. Auffallend sind zudem erhöhte Kreativität sowie eine gesteigerte Merkfähigkeit. Menschen mit Synästhesie sollen außerdem überaus empathisch sein, mit ausgeprägter Sensibilität für ihre Umgebung. Der Zusammenhang zwischen überdurchschnittlicher Intelligenz und synästhetischer Wahrnehmung ist demgegenüber umstritten. Möglicherweise vermitteln Eigenschaften wie Kreativität und hohe Merkfähigkeit dieses Bild. Gerade die feinen Antennen tragen übrigens nicht selten dazu bei, dass Synästhetiker von Zeit zu Zeit mit Reizüberflutung zu kämpfen haben. 

Berühmte Persönlichkeiten mit Synästhesie 

Da sich solch einzigartig verknüpfte Sinne häufig in kreativen Prozessen niederschlagen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele berühmte Persönlichkeiten – darunter Wissenschaftler, Musiker, Literaten und Kunstschaffende – im wahrsten Sinne des Wortes Buchstaben fühlen, Töne schmecken oder Farben hören. Hier lassen sich Namen wie Wassily Kandinsky, Nikola Tesla, Franz Liszt, Leonhard Bernstein oder Vladimir Nabokov ebenso einreihen wie Lady Gaga, Tori Amos oder Billy Joel.