Stress erfüllt eine wichtige biologische Funktion: Er bereitet den Organismus darauf vor, im Anlassfall möglichst rasch und effizient handeln zu können. In unserem oftmals hektischen Alltag geraten wir ständig in Situationen, die uns in Stress versetzen. Das ist zunächst kein Grund zur Sorge. Problematisch wird es dann, wenn man sich dem hilflos gegenüber sieht und auf Phasen der Anspannung keine Entspannung mehr folgt. Dauerstress nimmt gravierenden Einfluss auf Stoffwechsel und hormonelle Prozesse, was ernsthafte gesundheitliche Folgen nach sich ziehen kann.
In diesem Artikel beschäftigen wir uns näher mit dem Phänomen Stress. Welche Arten von Stress gibt es und was passiert in unserem Körper, wenn wir gestresst sind? Besonderes Augenmerk soll auf die Problematik von Dauerstress und dessen Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit gelegt werden. In diesem Zusammenhang erscheint das Rushing Woman Syndrom spannend. Welchen Einfluss nimmt Stress auf den weiblichen Organismus? Abschließend möchten wir Ihnen auch Möglichkeiten zur Stressbewältigung vorstellen.
Was ist Stress?
Stress (lat. „stringere“= anspannen) mag ein negativer Beigeschmack anhaften, dabei ist er Bestandteil unseres Lebens und eine vollkommen natürliche Reaktion. Kaum jemand bleibt von gewöhnlichem Alltagsstress, wie er von Zeit zu Zeit vorkommen kann, verschont.
Es existieren viele verschiedene Stresstheorien, bekannt ist uns vor allem jene von Hans Selye, dem Arzt und Hormonforscher, der in den 30er-Jahren Stress als Reaktion auf Bedrohung und begleitet von körperlichen Reaktionen beschrieb. Kommt es zur Gefahrensituation, bewirkt die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen erhöhte Leistungsbereitschaft. Äußere Reize (Stressoren) führen zu körperlichen und psychischen Reaktionen. Das befähigt uns in weiterer Folge dazu, an uns gestellte Anforderungen gut zu meistern.
Stress ergibt sich demnach aus einer körperlichen oder psychischen Belastungssituation heraus und ist grundsätzlich nichts Schlechtes – vorausgesetzt, er bleibt im Rahmen. Gelegentlicher Stress ist in Ordnung und kann sogar positiv wirken und uns anspornen. Dauerstress hingegen versetzt unseren Körper in stetige Alarmbereitschaft. Stresshormone können nicht mehr adäquat abgebaut werden, auf lange Sicht macht uns das krank. Läuft der ganz normale Alltagsstress aus dem Ruder und wird – oft unbemerkt – zum Dauerstress, ist Vorsicht geboten. Strategien zur Stressbewältigung können dann helfen, unser Stresslevel wieder in gesunde Bahnen zu lenken.
Positiver und negativer Stress
In früheren Zeiten lösten feindliche Begegnungen, wilde Tiere, unwegsames Gelände oder eine ungünstige Witterung Stressreaktionen aus. Heutzutage verfolgt uns Stress vorwiegend als Alltagsstress. Volle Terminkalender, berufliche Herausforderungen, familiäre Verpflichtungen, Konflikte in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz, dichtes Freizeitprogramm – Stress ist allgegenwärtig. Kurzfristige Auswirkungen von Stress sind nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Im Gegenteil, sie lassen uns effizienter reagieren und Herausforderungen adäquat meistern. Das nehmen wir durchaus positiv wahr. Wird Stress jedoch zum unliebsamen Begleiter und fehlen Mechanismen zur Stressbewältigung, kann sich das rasch ins Gegenteil verkehren.
Im Rahmen seiner Forschung entwickelte Hans Selye das Konzept von positivem und negativem Stress, Eustress und Disstress:
Eustress (positiver Stress)
Eustress bezieht sich auf Stressoren, die positiv empfunden werden. Die hormonell hervorgerufene erhöhte Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit des Körpers schadet dem Organismus nicht, im Gegenteil: Eustress ist meist eng mit Motivation, Optimismus und Glücksempfinden verbunden. Positiver Stress wird nicht als belastend erlebt, man fühlt sich der Herausforderung gewachsen und weiß, wie man sie bewältigen kann. Beispiele für Situationen, die häufig von Eustress begleitet werden, sind etwa das Hinarbeiten auf ein bestimmtes Ziel, sportliche Wettkämpfe, das Organisieren eines schönen Festes oder die Geburt eines Babys.
Disstress (negativer Stress)
Disstress bezieht sich auf Stressoren, die unangenehme, überfordernde und bedrohliche Gefühle hervorrufen. Stress wirkt dann negativ auf den Körper, wenn er häufig auftritt und nicht länger ausgeglichen werden kann. Auch wenn sich die betroffene Person der herausfordernden Situation völlig hilflos gegenüber sieht, kann Stress als negativ empfunden werden. Bei Disstress verbleibt der Körper hormonell in andauernder Alarmbereitschaft, mit negativen Folgen für Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft. Wir fühlen uns gereizt, unkonzentriert, ängstlich und ausgelaugt. Kommen in weiterer Folge keine Strategien zur Stressbewältigung zum Einsatz, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit völlig auszubrennen (Burnout-Syndrom).
Ob Stress positiv oder negativ empfunden wird, ist individuell sehr verschieden. Abhängig ist das nicht nur von der persönlichen Belastbarkeit, sondern auch davon, ob Stress zwischendurch abgebaut werden kann, also Strategien zur Stressbewältigung bestehen. Die Übergänge zwischen Eustress und Disstress sind fließend. So kann positiver Stress mit der Zeit als belastend empfunden, negativer Stress durch entsprechende Strategien in positiven Stress umgewandelt werden.
Stress: Was passiert im Körper?
Stress wirkt auf den gesamten Organismus, besonders aber auf Muskulatur, Atmung und Kreislauf. Unser Zentralnervensystem schaltet in den Überlebensmodus. Es werden vermehrt Stresshormone wie Cortisol, Adrenalin oder Noradrenalin ausgeschüttet. Im vegetativen Nervensystem kommt es zur Aktivierung des Sympathikus (auf Aktivität ausgerichtet), während die Funktion des Parasympathikus gehemmt wird.
Stress wirkt im Körper auf mehreren Ebenen:
- Blutzuckerspiegel steigt an (sodass das Gehirn kurzfristig mit mehr Energie versorgt werden kann)
- Atemfrequenz erhöht sich (um möglichst viel Sauerstoff für die Energieproduktion zur Verfügung zu haben)
- Puls und Blutdruck erhöhen sich (durch die verbesserte Durchblutung gelangt Energie in die Muskulatur)
- Muskeln werden intensiver durchblutet (Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit nehmen zu)
- Blutzufuhr zu den inneren Organen ist gedrosselt (Stoffwechselvorgänge laufen kurzzeitig auf Sparflamme); auch Hunger, Durst und Sexualtrieb sind gehemmt
- Blutzufuhr zum Großhirn ist gedrosselt (höhere Gehirnfunktionen laufen kurzzeitig auf Sparflamme)
- Schmerzempfinden ist vermindert
Wie entsteht Dauerstress?
Im Laufe der Evolution haben sich Stressoren verändert. Was früher der Säbelzahntiger war, sind heute abstraktere Dinge. Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie, (zu) hohe Anforderungen im Job, zunehmende Digitalisierung, die Angst, in unserer Leistungsgesellschaft nicht bestehen zu können und ähnliches mehr setzen uns unter Stress. Der Organismus reagiert und läuft auf Hochtouren. Was es in weiterer Folge braucht, sind Entspannungsphasen, in denen der Körper wieder auf Betriebstemperatur schalten kann. Bleiben diese aus und bleibt das Stresslevel dauerhaft hoch, hat das drastische Auswirkungen auf Körper und Psyche. Gerade der stetig hohe Spiegel von Stresshormonen sowie der veränderte Stoffwechsel können im schlimmsten Fall gravierende Funktionsstörungen nach sich ziehen.
Auswirkungen von Dauerstress auf Körper und Psyche
Die Auswirkungen von Stress können verheerend sein, sofern keine Strategien zur Stressbewältigung zum Einsatz kommen.
Gesundheitliche Auswirkungen von Stress:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt,…)
- Magen-Darm-Probleme (Verdauungsbeschwerden, Sodbrennen, Gastritis, Geschwüre,…)
- Immunsystem wird negativ beeinflusst (erhöhte Infektanfälligkeit)
- erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes
- Ein- und Durchschlafstörungen
- Essstörungen
- Kopfschmerzen/Migräne
- Verspannungen, Rückenschmerzen
- Allergien, Asthma und Hauterkrankungen werden negativ beeinflusst
- erektile Dysfunktionen, ungewollte Kinderlosigkeit
- Nervosität und Unruhezustände; erhöhte Reizbarkeit
- Einbußen in der Konzentration/Vergesslichkeit
- Tinnitus
- Angststörungen, Depressionen
- Flucht in die Betäubung (übermäßiger Konsum von Nikotin, Alkohol, Schmerz-/Aufputsch-/Beruhigungsmittel etc.)
- Burnout-Syndrom
Rushing Woman Syndrom: Frauen und Stress
Die australische Ernährungswissenschaftlerin und Biochemikerin Dr. Libby Weaver beschäftigt sich intensiv damit, in welcher Weise sich Dauerstress auf Frauen auswirkt. In Anlehnung an ihre Beobachtungen und Erkenntnisse prägte sie 2017 den Begriff Rushing Woman Syndrom (Das Rushing-Woman-Syndrom: Was Dauerstress unserer Gesundheit antut, 2017). Wichtig ist es herauszustreichen, dass es sich hierbei um kein anerkanntes Krankheitsbild handelt, sondern vielmehr um ein Phänomen weiblicher Überforderung. Der Fokus liegt auf gesundheitlichen Problemen, die durch Dauerstress entstehen. Nicht zu vernachlässigen sind dabei hormonelle Einflüsse sowie das gesellschaftlich tradierte Rollenbild der Frau.
Rushing Woman Syndrom: Der Name ist Programm
Was ist eine „Rushing Woman“ eigentlich? Dazu liefert Dr. Weaver ein klares Bild: Die Frau im Dauerstress möchte möglichst viel gleichzeitig erledigen und das so perfekt wie möglich. Der Anspruch, alles schaffen zu müssen, vermischt sich mit dem Gefühl, ständig unter Strom zu stehen. Warum gerade Frauen für die Rolle im sprichwörtlichen Hamsterrad besonders prädestiniert sind, dafür findet die Wissenschaftlerin deutliche Worte: Der Anspruch, alles schaffen zu wollen, sei typisch weiblich. Es allen recht zu machen und dabei möglichst brav und lieb zu sein, dieses Verhalten wird schon bei kleinen Mädchen positiv verstärkt. Ganz nach dem Motto „Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann“, ist diese Herangehensweise allerdings früher oder später zum Scheitern verurteilt. Körperliche und psychische Auswirkungen sind die unschöne Folge.
So zeigt sich Dauerstress bei Frauen
Ein Leben im Hamsterrad kann sich in physischen wie psychischen Symptomen niederschlagen. Vor allem die Auswirkungen von Dauerstress auf den weiblichen Hormonhaushalt sind in diesem Zusammenhang spannend. Ebenso beschreibt Dr. Weaver Folgen von Stress auf Organe, Stoffwechselprozesse, Verdauung, Nervensystem oder Emotionen von Frauen.
Auch die schwedische Forscherin Dr. Dominique Hange beschäftigte sich in einer Langzeitstudie der Universität Göteborg mit der Auswirkung von Stress auf Frauen. Sie stellte fest, dass körperliche Symptome, die häufig als psychosomatisch angesehen werden, vermehrt bei Frauen auftreten, die unter mentalem Stress stehen. Beschwerden wie Migräne, Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Probleme kamen bei diesen Frauen gehäuft vor.
Wesentliche Auswirkungen von Dauerstress auf Frauen:
- Veränderungen im Hormonhaushalt: Dauerstress ist häufig mit Progesteronmangel verbunden. Die Folge sind Niedergeschlagenheit, Ängste und Gewichtszunahme.
- Wassereinlagerungen sowie Schwierigkeiten in Bezug auf die Empfängnis. Auch Zyklusprobleme und das Prämenstruelle Syndrom können unschöne Konsequenz von Dauerstress sein.
- Probleme mit der Verdauung (Blähungen, Verstopfung, Reizdarmsyndrom,..)
- Probleme mit der Schilddrüse
- Es wird vermehrt zu Sucht- und Genussmittel gegriffen (vor allem zu Nikotin, Kaffee und Alkohol)
- Schlafstörungen
- Reizbarkeit, Überforderung und Konzentrationsschwierigkeiten
Was hilft bei Stress?
Zusammenfassend lässt sich sagen: Stress ist eine normale Reaktion des Organismus und kann durchaus positiv empfunden und effektiv genutzt werden. Demgegenüber macht uns Dauerstress krank. Umso wichtiger ist es, Strategien zur Stressbewältigung anzuwenden und so für einen Ausgleich zu sorgen. Die richtige Balance zwischen Anspannung und Entspannung zu finden, ist wesentlich im Hinblick auf die Bewältigung alltäglicher Herausforderungen. So haben Dauerstress und seine Folgen keine Chance!
Es gilt nicht nur, Stress als solchen zu steuern (neutralisieren oder in positiven Stress umzuwandeln). Ebenso kann die eigene Leistungsfähigkeit positiv beeinflusst werden und vor allem Maßnahmen zur gezielten Entspannung helfen nachhaltig. Darüber hinaus ist eine effiziente Organisation von Familie, Beruf und Freizeit sinnvoll.
Möglichkeiten zur Stressbewältigung
Möglichkeiten zur Stressbewältigung gibt es viele. Die Kunst ist es, individuell passende Methoden auszuwählen und diese bewusst in den Alltag zu integrieren. Einige Ansätze möchten wir an dieser Stelle vorstellen:
- Stress reflektieren und bewerten: Stress entsteht im Kopf. Umso wichtiger ist es, die Anforderungen des Lebens zu reflektieren und zu bewerten. Stress mit positivem Denken zu koppeln und in Herausforderungen nicht zwingend eine Belastung, sondern etwas Positives zu sehen, kann dabei helfen, Disstress in Eustress umzuwandeln.
- Delegieren und Priorisieren: Stress entsteht schnell, wenn man das Gefühl hat, für alles alleine verantwortlich zu sein. Vor allem Frauen fällt es schwer zu delegieren und Prioritäten zu setzen. Dabei ist genau das wesentlich, um die eigenen Ressourcen zu schonen.
- Work-Life-Balance: Die Work-Life-Balance sollte niemals außer Acht gelassen werden. Im Job laufen wir meist auf Hochtouren. Umso wichtiger ist es, Freizeit bewusst zur Entspannung zu nutzen und dabei das Smartphone auch einmal auszuschalten.
- Bewusste Entspannung/Achtsamkeit: Bewusste Entspannung und Achtsamkeitsübungen helfen, den Körper zu entspannen und loszulassen. Möglichkeiten gibt es hier viele. Atemtechniken, Meditation, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung oder Yoga – um nur einige zu nennen.
- Schlaf/Ernährung/Bewegung: Wichtig, um den Anforderungen des Alltags gut begegnen zu können, sind neben ausreichendem Schlaf ebenso moderate Bewegung im Alltag sowie eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Auch auf eine Trinkmenge von circa zwei Liter pro Tag ist zu achten. Genussmittel sollten stets sparsam zum Einsatz kommen.
- Sport: Sport ist ein Wundermittel gegen Stress. Er hilft dabei, die durch Stresssituationen entstandenen Energien im Körper zu binden und Stresshormone abzubauen.